Tag 11 – „Wolle Ziege kaufen“?

Durch Corona sind nicht nur zwei Reisen entfallen, sondern auch der Rest der Kenia-Reise blieb ungeschriebene. Das will ich jetzt nachholen. Deswegen hier:

Tag 11 – „Wolle Ziege kaufen“!?

Den Rest des Tages verbringen die einen lesend (ich) – ein Traum!!! vor der Kulisse des Kilimandscharo, andere vor ebensolcher Kulisse daddelnd am Handy. Der Gefährte hat gleich zwei neue Handyspiele aufgetan, die abwechselnd und teilweise laut fluchend gespielt werden müssen. Insgeheim frage ich mich, welche Beträge wohl zwischenzeitlich von der Kreditkarte abgebucht werden, um sich damit Extra-Leben, imaginäre Werkzeuge oder ähnliches zu kaufen. Ich wäre nicht halb so misstrauisch, wäre ich nicht bereits in der Vergangenheit Zeuge geworden, wie fanatisch ein erwachsener Anwalt noch so irre Computerspiele betreiben kann, nachts aufsteht, um virtuelle Kürbisse zu ernten, mit digitalen Freunden des Nachts Überraschungskreuzzüge durchzuführen oder ein ebenfalls virtuelles Aquarium zu reinigen, damit die teure Schildkröte (so eine Art super- zickiges Tamagotschi) nicht „stirbt“.

So oder so, ist es ein schöner Nachmittag. Immer wieder starre ich den Berg an. Ein wirklich beeindruckender Koloss. Nur Tiere zeigen sich – noch- nicht. Am Abend bereiten wir in der offenen Outdoor – Küche ein 1A Gulasch zu, wenn auch unter erschwerten Bedingungen. Ab Eintritt der Dämmerung scheint die Küche so eine Art After-Work- Hotspot für geflügelte und nicht geflügelte Insekten zu sein. Überall kreucht und fleucht es. Obwohl wir alle Lebensmittel sofort abdecken scheinen Flipp und seine Freunde Brechstangen dabei zu haben um sich ins Gulasch zu stürzen. Das sind Situationen, in denen man sich aufregen kann, oder es lassen. Wenn ich unbehelligt kochen wollen würde wie zu Hause, dann hätte ich eben dort bleiben müssen.

Wie in Urlauben dieser Art üblich, gehen wir vor 22 Uhr ins Bett, wollen wir doch am nächsten Tag mit Dixon den Viehmarkt besuchen, auf dem die Massai Handel treiben.

Nun haben wir auf diversen Reisen auf eigene Faust schon einiges gesehen und ich meinte immer, mich könne – von Indien oder unbereisbaren Ländern wie Nordkorea oder Afghanistan abgesehen nach Asien nicht mehr viel schocken. Weit gefehlt kann man sagen. Afrika ist in so vielem – positiv wie negativ – eine ganz ganz andere Liga.

Im Safari Auto fahren wir um halb sieben Uhr – auch der Massai ist ein entsetzlicher Frühaufsteher – vorbei an Feldern, riesigen Rinderherden, und gefühlt tausenden kleinen knallroten, pinken, blauen oder gelben Punkten. Was aussieht wie ein Meer aus Blumen sind Schüler auf dem Weg in die Schule. Einige so winzig, dass sie aussehen, als könnten sie gerade erst laufen. Alle winken und natürlich winkt man euphorisch zurück.

Als wir um eine Ecke biegen, überfahren wir beinahe ein Kalb. Der sonst mit Nerven wie Drahtseilen ausgestattete Sururu wird extrem blass und dankt Allah, dass er das Vehikel noch rechtzeitig zum stehen gebracht hat. Selbst ich als militanter Tierfreund finde diese Reaktion ein wenig überzogen, bis mir erklärt wird, wie die Massai Schadensersatz berechnen. Das kann schnell so teuer werden, dass selbst ein äußerst wohlhabender Kenianer wie unser Fahrer am Rande der Existenz steht. Oder eben kurz vor der Himmelspforte, wenn er nicht schnell genug bezahlt.

Angekommen auf dem Markt ist Dixon schon in seinem Element. Er trägt sein knallrotes Gewand, Hunter Gummistiefel und eine Canada Goose Jacke. Das sieht bemerkenswert sexy aus und wenn irgendein Mitarbeiter der Vogue das sähe, wäre das im Herbst in Paris der letzte Schrei. Die Idee mit den Gummistiefeln ist zudem absolut sinnvoll, steht man doch buchstäblich knöcheltief in der Scheisse. Zwar setzt sich der Massai mit dieser Schuhwahl selbst in Widerspruch zu seiner gestrigen Aussage: Autoreifensandalen seien für JEDE Lebenslage das passende Schuhwerk, aber sei es drum. Ich jedenfalls merke mir gedanklich vor, die Trekking Boots vor betreten des Hauses (zu Hause) ein heißes Schaumbad in Sagrotan nehmen zu lassen.

Es herrscht ein unfassbares Gedränge. Überall Menschen (bis auf eine Dame am Eingang ausschließlich Männer) in roten Gewändern, einzelne in strahlendem blau (das sind wie uns erklärt wird jeweils die Stammeshäuptlinge oder „Chiefs“)

Motorräder fahren in affenartigem Tempo durch die Menschenmasse und – ich denke erst ich sehe nicht richtig – Ziegen fahren auf dem Sozius mit, die kleinen, pelzigen Forderpfoten auf die Schultern des Fahrers gelegt, der Bart flattert im Wind. Es ist laut. Es riecht unglaublich und ständig möchte uns jemand die Hand geben oder uns umarmen. Zwar ist die Corona-Pandemie in Kenia zu diesem Zeitpunkt noch nicht angekommen, ich als alter Phobiker bin aber dennoch nicht wirklich amused. Auf der anderen Seite möchte man auch niemanden beleidigen, was relativ eindeutige passiert, wenn man sich – wie ein anderer Mensch in unserer Gruppe (nicht der Mitreisende) augenblicklich nach jeder Berührung mit einem Sagrotan-Tuch die Epidermis runterreibt.

Wir gehen weiter. Dixon erklärt munter dies und das, stellt uns Leuten vor, handelt, lacht. Wir stehen plötzlich auf einem Feld mit unglaublich vielen Rindern. Bullen, Kühen, Kälbern. Als Stadtkind habe ich noch nie solche Tiere so nah gesehen. Die Besitzer versuchen die Tiere mit Stöcken in Schach zu halten, was mal besser und mal weniger gut funktioniert. Immer wieder büxt eine Kuh aus und rennt durch die Menge. Ich weiß ja: es ist nur eine Kuh, aber das ist für den ungeübten Betrachter doch alles ein wenig beängstigend. Das weiß Dixon natürlich genau und er amüsiert sich köstlich, indem er in der Menge untertaucht, sich von hinten anschleicht und laut muhend wieder ins Bild springt. Er ist bester Laune, hat nämlich heute zwei Kühe verkauft, offenbar zu gutem Preis. Die Frage, ob er für einen solchen Verkauf Steuern zahlen müsse, löst größere Erheiterung aus, das stehe zwar im Gesetz, das gelte aber nicht für ihn. Ich nehme mir vor zu prüfen, ob ein Verwandtschaftsverhältnis zu Uli Hoeneß besteht. Brüder im Geiste scheinen sie jedenfalls zu sein.

Wir werden einem Mann im kreischend bunten Cord-Anzug vorgestellt. Der „Bürgermeister“. Also der Massai Bürgermeister. Zwar gebe es auch einen „staatlichen“ Vorsteher dieses Gebietes, der interessiere die Massai aber nicht. Man gehe auch nicht zur Wahl, das sei Massai Land und was irgendeine Regierung tue sei relativ unbeachtlich.

Mir kommt währenddessen in den Sinn, weshalb ich mich so merkwürdig fühle: Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich – von den drei Mitreisenden abgesehen- die einzige weiße Person unter hunderten, wenn nicht tausenden mit schwarzer Haut bin.

Als wir uns beharrlich weigern eine Ziege zu kaufen, laufen wir weiter zum Lebensmittelmarkt. Es ist unfassbar, welch tolles Gemüse und Obst hier angeboten wird. Die Gerüche von Gewürzen und undefinierbaren anderen Dingen hauen einen fast um. Allerdings spürt man sehr deutlich, dass wir hier als Musungu nicht willkommen sind. Richtig böse werden wir beäugt, teilweise weiter geschickt. Vermutlich ist das hier schlicht kein Ort für Touristen. Ohne Dixon, hätte ich persönlich recht schnell den Rückweg angetreten. Der bleibt aber weiterhin bester Laune und feilscht fröhlich um den Preis eines Kapitalen Sackes Auberginen. Wir gehen weiter in einen Bereich des Marktes, in dem Kleidung verkauft wird. Zwischen allerlei Unrat türmen sich Berge von Altkleidern auf, die auf ausgebreiteten Planen von Frauen und Kindern gefaltet und gestapelt wird. An diversen T-shirt’s von deutschen Regionalliga-Vereinen, Kegel-Clubs etc erkennt man, das viele Stücke aus Deutschland kommen. Sie sind teilweise so abgetragen, dass man sich schwer vorstellen kann, dass sie jemand auftragen soll. Geschäfte für neue Kleidung – traditionelle Kleidung ausgenommen- scheint es nach kurzer Internet-Recherche ausschließlich in Nairobi zu geben, 400km weit weg. Auf einem Haufen Müll spielen zwei Kinder mit einer Ziege. Ich fühle mich merkwürdig. Für mich ist das alles so extrem, so deprimierend, aber darf ich das so überhaupt empfinden?

Ich habe unfassbaren Durst, die mitgebrachte Wasserflasche ist leer. Es gibt zwei Bretterbuden, in denen Getränke verkauft werden. Ich nehme eine Flasche Cola (da kann ja an sich nix passieren) aus einem prähistorisch anmutenden Kühlschrank, die SO mit Schmutz bedeckt ist und irgendwie „verdächtig“ aussieht, dass ich sie zwar bezahle, aber davon Abstand nehme daraus zu trinken. Das hier ist nicht Thailand oder Botswana oder Namibia. Das ist Ost-Afrika. Und wenn man erlebt, wie es hier aussieht, im reichsten und sichersten Land Ost- Afrikas, dann möchte man sich nicht vorstellen, wie es in Somalia, im Tschad oder anderswo zugeht. Der Dreck, der Lärm, die brennenden Haufen Müll überall, dazwischen die Menschen die fröhlich ihrem Alltag nachgehen, das macht mich nachdenklich.

Wütend hingegen macht mich, dass es Leute gibt, die meinen, hiervon ungefragt Fotos machen zu müssen. Nicht einfach nur vom Markt an sich, sondern von den Menschen in Nahaufnahme. Je krasser, desto besser. Und auch wenn ich verstehe, dass man all das irgendwie festhalten möchte: wir sind hier nicht im Zoo.

Wir schlendern an einem Stand vorbei, an dem man die topp-chicen Autoreifen-Sandalen erwerben kann, die unser Führer üblicherweise trägt. Ehe ich schlimmeres verhüten kann, hat der Verkäufer den Mitreisenden in ein Verkaufsgespräch verwickelt. Auf die Gefahr hin mich anzuhören wie Marie Kondo stelle ich die provokante Frage in den Raum, was wir mit derlei Staubfängern sollen. Ich lobe gleichzeitig einen hochdotierten Preis für den unwahrscheinlichen Fall aus, dass mein Rückenkranker Musungu diese Gummi-Galoschen jemals nördlich des Äquators in Gegenwart von Menschen mit Augen trägt. Der Einwand, auf Ibiza könne man das in jedem Fall tragen, verfängt nicht. Auf Ibiza kannst du auch in einem Tanga aus Serrano in eine Nobelboutique marschieren, ohne dass das irgendjemand befremdlich fände.

Der Verkäufer scherzt, dass er für so große Füße einen LKW-Reifen verwenden müsse und der Preis natürlich steige, je größer die Mauke ist, für die der Schuh angefertigt wird. Er macht sich also ans Werk und 10 Minuten später haben Schuhe und Geld jeweils den Besitzer gewechselt. Ich hingegen beobachte unterdessen, wie im „Dallas Car Wash“ abwechselnd Kühe und Autos gewaschen werden. Apropos Kuh: wie viele Kühe muss man verkaufen, um sich eine dritte Ehefrau leisten zu können? DAS klären wir in der nächsten „Folge“.

Autor: bravenewworld84

Introvertiert und trotzdem Rampensau, sensibel und trotzdem manchmal mit dem Holzhammer unterwegs. Volljurist auf der Suche. Es war immer mein Traum, beruflich im Sektor „Spaß“ tätig zu sein. Ich kann mir keine edlere Beschäftigung vorstellen, als Menschen zu unterhalten und vom -nicht immer angenehmen- Alltag abzulenken. Gemütlichkeit ist mein zweiter Vorname.

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