Tag 2 – Körperliche Ertüchtigung mit Tschibo oder die Kastelruther Spatzen und andere Plagen

Nach erfrischenden 10 Stunden Schlaf wache ich an Tag 2 auf. Es ist verwunderlich, wieviel besser der eigene Körper funktioniert, wenn man ihn schlafen lässt.

Nach rituellen Waschungen – traumhafter Wasserdruck (danke Hans Grohe), da hat der Italiener dem Spanier etwas voraus – schminke ich mich auf dem Balkon, damit ich mich nicht nur wieder fühle wie ein Mensch, sondern auch so aussehe. Nun erfordert das ja mit zunehmendem Alter auch erweiterter Fähigkeiten mit Pinsel, Schwämmchen und diversen Farbtöpfchen. Es kann nicht mehr lange dauern, bis auch Panzertape und Edding zum Einsatz kommen.

Jedenfalls ist es eine anstrengende Arbeit, von der ich mich üblicherweise gerne durch Berieselung in Form von Podcasts ablenken lasse. Dass ich einen Geschichtspodcast mit vielen OTönen aus dem Dritten Reich ausgewählt habe, scheint angesichts der Blicke, die mir die französischen Mitgäste beim Frühstück zuwerfen keine sonderlich clevere Idee gewesen zu sein.

Unschöne Assoziationen löst auch das riesige, Berghof-artige Panorama Fenster des Frühstücksraumes aus. Gut, dass wir nicht noch einen Schäferhund mit uns führen.

Offensichtlich höre ich nicht nur zu viele Geschichtspodcasts, sondern sollte auch davon Abstand nehmen, bei laufender NTV Beschallung („Hitlers Hunde“, „Hitlers Cousinen“ , „Hitlers vegetarischer Lieblingseintopf“) einzuschlafen.

Am Frühstücksbuffet kann man mit einer Hightech Maschine einen eigenen frischen Saft zubereiten, was den Mitreisenden sofort veranlasst, alles zu entsaften, was sich entsaften lässt und ein scheußliches Gebräu zu kredenzen, das ICH zu mir nehmen soll weil es „total gesund“ ist. Ich werde allerdings ermahnt dies möglichst schnell zu tun und bloß nicht Zuviel zu essen, fahren wir doch heute zu einem Bergbauernhof auf dem man hervorragend die heimische Tiroler Küche testen kann. Unsere zwei Tischnachbarn von gestern essen ihre üblichen drei Körbchen Brot und schmieren sich ein weiteres, vermutlich geht es heute auf den Berg.

Apropos Berg. Alles was Füße hat, hat sich mit Kind, Hund und Großmutter aufgemacht zu wandern. Aus gutem Grund darf man die Alm mit dem Auto nur vor 10 Uhr morgens oder nach 17 Uhr befahren. In der Zeit dazwischen gehört die Natur den mehr oder weniger professionellen Sportlern.

Seit es überall von E-Bikes wimmelt, kann eben nicht nur der Streichholz-gleiche Uwe in kompletter Tour de France Montur und mit rasierten Beinen in herausfordernder Topographie radelnd sein Unwesen treiben, sondern eben auch Knut und Gundula aus Würselen, gewandet in allem, was eine bekannte deutsche Kaffeerösterei an sportlicher Outdoor Bekleidung auf den Markt geworfen hat. Anders als Uwe, der seit 30 Jahren Rennrad fährt und weiß, welche Gefahren auf engen Passstraßen drohen, und wie unkomfortabel sich ein Rennrad abbremsen lässt, wenn man Schuss auf einen LKW zufährt, verhalten sich besagte Frühpensionäre eher wie ein Teenie auf seinem ersten Mofa, nur dass das E-Bike deutlich schneller unterwegs ist. Die Straße gehört Ihnen -glauben sie-.

Wir fahren also vor 10 Uhr gen Tal. Da der gemeine Wandersmann nicht nur Frischluftfanatiker, sondern auch ein widerlicher Frühaufsteher ist, sind die winzigen gewundenen Straßen schon rammelvoll. Eltern ziehen genervte Kinder, Bollerwägen und Hunde hinter sich her, die alle so aussehen als wünschten sie, sie wären an irgendeiner Raststätte ausgesetzt worden. Entgegen der Annahme von Frau Klöckner sind viele Caniden nämlich gar nicht dafür gemacht stundenlang an der Leine hinter irgendwem herzutrotten. Drei Chihuahuas haben das Gehen gänzlich eingestellt und lassen sich stattdessen in einem Geschirr, in dem sonst Neugeborene an die Mutter gebunden werden herumtragen.

Entgegen der Gewohnheit von Tim Alesi, fahren wir extrem umsichtig, langsam und ohne regelmäßiges Aufheulen lassen des Motors. Selbst ICH kann nichts beanstandungswürdiges am Fahrstil des Mitreisenden finden. Allerdings sitzen wir in einem Porsche und fahren „offen“. Allein das ist in den Augen deutscher Touristen eine derartige Provokation, dass man uns mehrfach den Vogel zeigen und mit dem Nordic Walking Stick drohen muss. Übrigens ganz im Gegenteil zu den italienischen Wanderern, die sich hin und wieder zu einem lauten „Aaaaah Bella Macchina“ und „Daumen hoch“ hinreißen lassen. Von „Leben und leben lassen“ unserer südlichen Nachbarn, könnte sich der Teutone das ein oder andere Scheibchen abschneiden.

Als ein besonders rüstiger Verkehrs-Kasper dazu ansetzt mit seinem Nordic Walking Stick auf die Motorhaube zu klopfen, entfährt mir ein „Platz da du Mumie!!!“ und endlich haben wir freie Fahrt ins Tal.

Die Strass schmiegt sich an den Berg und windet sich hoch und runter durch schönste Landschaft, vorbei an Apfelplantagen, Weinbergen, Burgruinen und zahllosen Bauernhöfen. Wenn man sich die Umgebung so ansieht kann es einem glatt Angst werden, dass hinter irgendeiner Biegung der „Anton aus Tirol“ oder – wenn auch geographisch an sich anderswo beheimatet- der „VOLKS ROCKN ROLLER!!!“ hervorspringen. Wir fragen uns, ob die „Kastrelruter Spatzen“ tatsächlich aus DIESEM Kastelruth stammen, was tatsächlich der Fall ist. Gottlob scheinen diese Piepmätze aber derzeit ausgeflogen zu sein.

Nach einer längeren Fahrt kommen wir auf dem Pretzhof, einem kulinarisch interessanten Bergbauernhof an. Wir nehmen ein erstes geruhsames Bier mit Blick in das Tal zu uns. Diese unfassbare Ruhe, danach könnte ich eine Sucht entwickeln.

Ich stecke meinen Kopf in den Stall, sehe Kühe, Ziegen und meine besonderen Freunde die Schweine, die sich hier im wahrsten Sinne sauwohl zu fühlen scheinen. Vier von ihnen haben sich im Heu zusammengekuschelt und schlafen. Zwei andere wühlen im Stroh, auf der Suche nach Essbarem. Die übrigen machen sich lautstark über Frischfutter her. Natürlich werden auch diese lieben Mitgeschöpfe irgendwann geschlachtet und als Wurst oder Schinken in der Hofräucherei enden. Bis dahin aber scheinen sie ein deutlich besseres Leben zu führen, als so mancher Schicksalsgenosse in einer Fleischfabrik. Und wenn Frau Klöckner tatsächlich einmal etwas sinnvolles und gutes tun wollte, würde sie sich um den Schutz der Schweine kümmern.

Freunde von uns treffen ein und wir lassen uns im super-gemütlichen Gastraum nieder. Alles ist authentisch und fühlt sich irgendwie „gut“ an. Es mag am Wein, der behaglichen Atmosphäre oder dem gesunden Nachtschlaf liegen, aber ich bin unverschämt entspannt. So entspannt, dass ich entgegen sonstiger Gewohnheit den Radau am Nachbartisch gar nicht registriere bzw mich nicht darüber aufrege. Dort proben mehrere Kleinkinder den Aufstand und versuchen herauszufinden, wie lange es dauert mit einem Brotmesser einen Restaurant-Tisch zu zersägen. Es fliegen Buntstifte, es fliegt Essen und es wird jede Menge gekreischt. Dreisprachig wie mir scheint. Die anwesenden Mütter und Väter sind offenbar bereits taub und komplett schmerzbefreit, ebenso wie (zu meiner riesigen Überraschung) ich! Das muss diese Altersmilde sein.

Anders geht es den drei anderen Erwachsenen an meinem Tisch, allen voran dem Mitreisenden, der sich lautstark aufregt bzw. die Eltern fragt, ob die lieben Kleinen nicht Evtl draußen weiterkreischen können. Ebenfalls mit den Nerven am Ende ist der Gastwirt, der sich zu uns an den Tisch setzt und sein Leid klagt. O Ton: „Deswegen bin ich nicht Gastwirt geworden, dass hier drei Kinder das ganze Restaurant terrorisieren.“

Gekrönt wird das Ganze Zinnober davon, dass eine der Mütter sich – und nein, das ist jetzt keine künstlerische Übertreibung – das Kleid von den Schultern zieht und mitten im Gastraum anfängt ihr Kleinkind zu stillen.* Auch das nehme ich zwar verwundert zur Kenntnis, es regt mich aber nicht annähernd so auf, wie es das in der Vergangenheit tat. Der Mitreisende – der ansonsten für Brüste eigentlich IMMER zu begeistern ist – verlässt entnervt das Restaurant und kauft stattdessen Wein und Wurst und Molkereiprodukte (Höhöhö) im Hofladen ein.

*nein, nicht alles, was „natürlich“ ist muss ich in der Öffentlichkeit tun. Auch als Mutter kann ich Rücksicht nehmen. Nein, niemand soll seinen Säugling hungern lassen, aber ein Tuch drüber legen sollte möglich sein. Das haben unsere Mütter „früher“ super gut hinbekommen, das war aber auch in Zeiten, in denen noch nicht jeder ständig und zwanghaft im Mittelpunkt und irgendwelche „Rechte“ einfordern musste.

Autor: bravenewworld84

Introvertiert und trotzdem Rampensau, sensibel und trotzdem manchmal mit dem Holzhammer unterwegs. Volljurist auf der Suche. Es war immer mein Traum, beruflich im Sektor „Spaß“ tätig zu sein. Ich kann mir keine edlere Beschäftigung vorstellen, als Menschen zu unterhalten und vom -nicht immer angenehmen- Alltag abzulenken. Gemütlichkeit ist mein zweiter Vorname.

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